Viktor Pelewin
Der russische Satiriker Viktor Pelewin Foto: Alexander Viktorov

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Viktor Pelewin – Moskauer Panorama der 1990er Jahre 

Klar umrissene Identitäten werden angesichts zerstreuender Lifestyle-Milieus und Bastel-Biografien immer fragwürdiger. Vielleicht werden wir deshalb in immer kürzeren Intervallen kollektiv definiert: als 68er, 78er, 89er oder Generation X. Und selbst positioniert man sich anhand von Marken. Gauloises oder West, Gucci oder Joop, Benz oder Beatle: Die Marke ist ein Baustein der „individuellen“ Identität.

Viktor Pelewins „Generation P“ ist nach Partei, Perestroika und Pepsi gerade in der dritten Liga des Kapitalismus gelandet. Aber für den heute 59 Jahre alten russischen Autor scheinen sich die Merkmale seiner Generation schon deutlich genug abzuzeichnen, um sie zum Mittelpunkt eines satirischen Romans zu machen, der ein Panorama der Moskauer 90er Jahre bietet. Tatarski, Pelewins Hauptfigur, verschlägt es nach der Wende in ein neues Wertesystem. Zwar zeigt „das Fernsehen dieselben Visagen, von denen einem schon die letzten zwanzig Jahre übel geworden war,“ aber „aus ihnen tönte haargenau das, wofür sie die anderen früher eingelocht hatten.“ Es kommt Tatarski vor, als ob ehemalige SS-Generäle den Liberalismus preisen und der Kommandant von Ausschwitz die Entnazifizierung leitet.

Wechsel in die Werbebranche

Aber was solls. Weil mit dem verhassten System für den verkappten Lyriker Tatarski auch die Hoffnung auf einen gerechten und deshalb ewigen Nachruhm zum Teufel gegangen ist, wechselt er in die Werbebranche und betextet in seiner Freizeit alle möglichen Westprodukte auf Vorrat. Ansonsten schreibt er, was verlangt wird: von der Zigarettenreklame bis zu Treatments für eine neue „Russischen Idee“. Aber bis er soweit ins Zentrum des neuen PR-Systems aufgestiegen ist, bedarf es einiger fliegenpilz- und LSD-gestützter Bewusstseins-Exkurse, um den Mechanismen der neuen Zeit auf die Schliche zu kommen. Da sind zum Beispiel der orale und anale Wow-Faktor: Der Mensch frisst sich an einer Perlenschnur aufwärts, die aus seinem Arsch wieder herauskommt. Oder die Politiker, die virtuell hergestellt und von einer undurchsichtigen Werbeagentur wie Marken gepflegt werden.

Stilistisch bewegt sich Pelewin sehr selbstbewusst zwischen Bulgakows Satiren und Pynchons Paranoia-Literatur. Wer diese kopflastig- ironische Schreibweise mag, wird verschmerzen können, dass der Anspielungsreichtum, die mit Mythologie verzwirbelten wissenschaftlichen Theorien und die ausführliche Entwicklung von Gedankengängen nicht immer voll mitreißt. In Russland jedenfalls ist „Generation P“ ein Bestseller und hat bei der „seriösen“ Kritik hektische Verurteilungen ausgelöst.

Viktor Pelewin (1999). Generation P. Roman. Übersetzung aus dem Russischen von Andreas Tretner. Volk und Welt Berlin 2000. 324 Seiten.

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