Poetikon

Utopien /

Es gibt Denkfiguren, die lassen einen staunen: Zum Beispiel wird immer wieder gerne die Aussage wiederholt, dass der Mensch aufgrund seines natürlichen Egoismus eine rationale Ordnung schaffe, nämlich die, in der wir gerade leben und die nichts weniger ist als die beste aller Welten. Der Gedankengang ist einfach: Wenn alle an sich denken, sei das letztlich gut für alle. Aber ist Egoismus nicht etwas Irrationales? Wie kann daraus etwas Gutes, ja sogar Vernünftiges werden? Muss man nicht vielmehr davon ausgehen, dass der Egoismus so etwas wie Neid und Habgier, Eitelkeit und Herzlosigkeit, Korruption und Kartellbildung im Schlepptau hat?

Aber es geht noch weiter. Ein Gedanke, der gerne der Egoismus-These gegenübergestellt wird, lautet, dass aus einer gesellschaftlichen Ordnung, die auf Solidarität und Rationalität setzt, garantiert totalitäre Gesellschaften entstehen. Utopien seien immer zum Scheitern verurteilt. Denn das, was gut gedacht und gut gemeint ist, verkehre sich zwangsläufig in die absolute Herrschaft eines Prinzips. Der kleine miese Egoismus wird prinzipiell etwas Gutes, die große edle Idee immer etwas Schlechtes. So oder so ähnlich wurde in den vergangenen fünfzig Jahren für die Erhaltung des Status Quo argumentiert. Ergebnis: Egoismus doppelt plus gut. Orwell lässt grüßen.

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