Ken Saro-Wiwa – Krieg! Wofür soll das gut sein?
Bevor der nigerianische Bürgerkrieg beginnt, ist für Mene in Ken Saro-Wiwas Schelmenroman „Sozaboy“ die Welt eigentlich in Ordnung. Er ist ein paar Jahre zur Schule gegangen und jetzt Fahrerlehrling. Jeden Tag kutschiert er mit einem LKW namens „Vorschritt“ von seinem Dorf Dukana in die Provinzhauptstadt. Die Geschäfte seines Chefs laufen gut, denn irgendwo ist Palava und viele Leute, die im Norden gearbeitet haben, wollen in ihre Dörfer an der Küste zurück.
Mene wird Soldat – wegen eines schönen Mädchens
Eigentlich hätte mit der neuen Regierung aus Militär und Polizei alles besser werden sollen. Aber mittlerweile ist es so wie früher. Der Pastor ermahnt zum Beten, weil sonst die Welt untergeht, die Polizisten halten die Hand auf und der Bürgermeister ist korrupter als jemals zuvor. Aber was solls. Mene lernt in der Afrika-Palmweinbar ein schönes Mädchen mit original N.S.B. (Nagelneusuperbusen) kennen und nach einigen Hin und Her heiraten sie. Aber sie stellt ihm eine Bedingung: Da es so aussieht, als ob es bald noch mehr Palava gibt, soll er Soldat werden, um sie beschützen zu können. Und auch die größten Nichtsnutze aus Dukana, von denen einer schon Hitla besiegt hat, meinen, wenn Mene Soldat werde, sei das gut für die Ehre des Dorfes und für einen jungen Mann sowieso eine tolle Sache.
Die neue Uniform ist wie Weihnachten und Ostern zugleich
Von nun an ist Mene Sozaboy: der zu den Soldaten geht. Es dauert noch eine Weile, bis seine Mutter sich dazu überreden lässt, das Schmiergeld für die Grundausbildung zu bezahlen. Menes Kopf wird rasiert und mit „Ab Teilung Stillstand!“, „Gleich Schritt!“ und „Strammstehn!“ beginnt das Soldatenleben. Als Sozaboy seine Uniform bekommt, ist das für ihn wie Weihnachten und Ostern zugleich. Doch dann macht das Gerücht die Runde, dass der Feind müde sei und nicht mehr kämpfen wolle. „Wir kriegen keinen mehr zum Erschießen und Töten. Also, ich war gar nicht froh und zufrieden, als ich das gehört habe. Ich hab auch geweint, genau wie die anderen Jungs.“
Palava, Palava, Palava
Dann geht es doch noch los. Ein paar Wochen verbringt Mene in einem Wasserloch. Das Essen ist miserabel. Mene weiß nicht, wo er ist, um was für einen Feind es sich da auf der andern Seite handelt und um was es in diesem Krieg überhaupt geht. Aber er ahnt schon, dass da noch etwas auf ihn zukommt: „Und ich hab gewusst, das gibt Palava. Palava macht noch mehr Palava. Und Palava klopft nicht vorher an.“
Ken Saro-Wiwa zielt auf eine breite Verständlichkeit
Ken Saro-Wiwa erzählt in einer Mischung aus nigerianischem Pidgin und Hochenglisch, in das Wortmuster und Bilder aus seiner Muttersprache einfließen. Gerhard Grotjahn-Pape bringt in seiner Übersetzung, den damit angestrebten Eindruck der Authentizität gut rüber. Anders als der nigerianische Nobelpreisträger Wole Soyinka, dessen virtuose Handhabung des Englischen seine Werke nur einer gebildeten Elite zugänglich macht, zielt Saro-Wiwas „rotten English“ auf eine breitere Verständlichkeit und damit auf die Etablierung einer literarischen Sprache, die dem Vielvölkerstaat eine kollektive Identität ermöglichen könnte.
„Und wann ist der Krieg vorbei?“, hab ich Bullet gefragt. „Der Krieg ist vorbei, wenn alle tot sind“, hat er geantwortet und gelacht. Also wirklich, wie Bullet immer über alles Witze gemacht hat, das hat mir überhaupt nicht gefallen. Was soll das heißen, der Krieg ist vorbei, wenn alle tot sind? Und wer hat dann was davon?“
Ein echter Simplicissimus. Wie bei seinem literarischen Vorbild, fällt der Groschen beim Ich-Erzähler Mene nur pfennigweise. Dieser nigerianische Schelmenroman lebt wie seine Vorbilder von der Diskrepanz zwischen der Naivität des Erzählers und dem, was er erzählt. Mit den Prototypen des Genres verbindet ihn ein konsequenter Gegendiskurs: In den anrollenden Stahlgewittern schwingt sich Sozaboy zu keinem geistigen Höhenflug über den Kampf als inneres Erlebnis auf. Bei ihm will sich auf dem Schlachtfeld weder Heiterkeit noch Aggression, weder Hass noch ein ordentliches Feindbild einstellen. Er läge lieber am warmen N.S.B. seiner Frau.
Die Verzerrung ins Komische ist Kritik und Filter zugleich
Mit der Zeit lernt man die jugendliche Naivität des Erzählers zu schätzen. Eine naturalistische Darstellung von Folter, Gefängnissen und den Flüchtlingslagern wäre schwer erträglich. Die Verzerrung ins Komische ist Kritik und Filter zugleich. Nichts wird unmittelbar und trotzdem verbietet es den Leserinnen und Lesern die Rolle literarischer Voyeure.
Hoffnungslos desillusionierte Erzählung
Saro-Wiwa findet zu seinem Thema nie jenen humorigen Abstand wie Jaroslav Hašek in seinem braven Soldaten Schwejk, dessen Bauernschläue die offiziellen Kriegslegitimationen und Kriegsbegeisterungen seiner Zeit lächerlich macht. Zur lakonischen Traurigkeit von Remarques singend in die Schützengräben gezogenen Gymnasiasten fehlt dem Sozaboy der humanistische Hintergrund. Er tastet seinen Krieg mit einer anfangs empörten, dann verzweifelten und schließlich hoffnungslos desillusionierten Erzählung ab. Nie klingt der heroische Unterton eines Hemingway an, nie wird die Logik des Krieges wie bei Jünger akzeptiert.
Grimmelshausens und Saro-Wiwas Bürgerkriegsromane verbindet ein Muster, das diese Form der Auseinandersetzung anscheinend prägt: Der Bürgerkrieg ist als totaler Krieg allgegenwärtig. Es gibt keine Sieger, nur entvölkerte Landstriche, Sinn- und Heimatlosigkeit. Daniel Kehlmann hat in „Tyll“ dieses Thema eindrucksvoll aufgegriffen.
Er wird keinen einzigen Schuss abgeben
Nachdem er seine erste Apokalypse überstanden hat, landet Sozaboy hinter der Front, bekommt die Uniform des Feindes übergestülpt. Und so geht es weiter: Er wird in diesem Krieg keinen einzigen Schuss abgeben. Er wird von einem Schlachtfeld zum nächsten wandern, hungern, in Gefangenschaft geraten und seiner Hinrichtung nur entgehen, weil es keine Munition mehr gibt. Aber damit ist noch nicht Schluss. Auf der Suche nach seiner Mutter und seiner Frau kommt er von einem Flüchtlingslager ins nächste und was er dort sieht, ist unter dem Namen Biafra-Krieg als einer der verheerendsten Konflikte im postkolonialen Afrika in die Geschichte eingegangen. Der Krieg ums Öl im Nigerdelta hat sich erschöpft. Aus dem Soldaten wird wieder Mene. Die jetzt umherziehenden Menschen wirken wie aus Remarques „Im Westen nichts Neues“: Alle schweigen, als sie an uns vorübergehen. Als Sozaboy wieder in seinem Dorf auftaucht, halten ihn die Überlebenden für einen Geist und beschließen ihn zu töten. Seine Mutter und seine Frau sind bei einem Bombenangriff umgekommen.
„Ich habe kein Wort mehr zu Duzia gesagt. Ich bin einfach aufgestanden und los. Als ich da vorbeigekommen bin, wo das Haus von meiner Mama gestanden hat, da sind mir die Tränen aus den Augen gepladdert wie Regen. Ich bin ganz schnell aus meinem Heimatdorf Dukana weggelaufen. Und ich hab wirklich überhaupt nicht gewusst, wohin.“
Autor, Politiker, Umweltschützer – zum Tode verurteilt
Dieser männlichen Perspektive hat Ken Saro-Wiwa mit „Lemonas Geschichte“ eine weibliche hinzugefügt. In der Geschichtensammlung „Die Sterne dort unten“ schreibt er weiter an der kleinen Welt des fiktiven, im Nigerdelta liegenden Dukana. Ken Saro-Wiwa wurde 1941 geboren. Er studierte Theaterwissenschaften, war Universitätsdozent, Regierungsbeamter, Politiker, Kinder- und Drehbuchautor, Journalist. Als Sprecher der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes (MOSOP), setzte er sich dafür ein, dass die ökologischen Schäden durch die Ölförderung und -verarbeitung, die die Lebensgrundlage der Bevölkerung zu vernichten drohen, beendet und rückgängig gemacht werden. 1994 wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. 1995 wurden er und acht weitere Mitglieder der MOSOP in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Als deutsche Übersetzungen sind von Ken Saro-Wiwa erschienen: (1997) Sozaboy. Roman; (1997) Die Sterne dort unten. Geschichten; (1999) Lemonas Geschichte. Roman. Aus dem Englischen von Gerhard Grotjahn-Pape. dtv.
Außerdem: Ken Saro-Wiwa (1996): Die Flammen der Hölle. Nigeria und Shell: Der schmutzige Krieg gegen die Ogoni. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff und Udo Rennert. Rowohlt Verlag.