Alltage

Zwischen den Zeilen oder: Auf der Sonnenseite der Unterdrückung /

Auf einem Tisch in unserem Wohnzimmer liegen Bücher, Zeitungen und Zeitschriften. Ab und zu reagiert ein Buch oder ein Artikel spontan mit einem anderen Text. Zum Beispiel ein neuer Essay von A. L. Kennedy mit einem schon etwas älteren Buch von Arno Gruen.

Daddy nimmt den Gürtel ab

Momentan ist man ja über jede Erklärung dankbar, die die politische Entwicklung nicht mit den immer gleichen Formeln zu fassen versucht. Die schottische Autorin A. L. Kennedy öffnet unter der Headline „Was tun gegen Junkie-Sadisten?“ eine persönliche Perspektive auf die neuen Oligarchen in den USA. Sie empfiehlt am Ende ihrer Überlegungen schlaue und radikale Freundlichkeit dagegen. Aber der Reihe nach! Für sie sind Trump und Musk nicht nur toxische Männer, für sie gehören beide zu einer Kategorie von Gewalttätern, die danach trachten, Menschen zu missbrauchen. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht als Söhne von Millionären seien ihnen durch Zufall oder Glück viele Menschen unterlegen. Und aufgrund dieser Herkunft seien sie zu Raubtieren geworden, zu bösartigen Narzissten, die alles dafür tun, dass ihnen immer noch mehr Menschen unterlegen sind.

Als Hintergrund für dieses bizarre Jobprofil entwirft Kennedy folgendes Bild: einen gewalttätigen Vater, einen Vergewaltiger, der nach Hause kommt. Nur diejenigen verstehen das Wesen von Trump und seinen Broligarchen, schreibt sie, die wissen, „wie es ist, beim Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels zusammenzuzucken, weil man weiß, dass der Mensch, der sie missbraucht hat, gerade wieder das Haus betreten hat und erneut ihre Sicherheit, ihre körperliche und geistige Unversehrtheit bedroht“. Nur wer in dem beschriebenen Moment denkt, „diesmal sterbe ich vielleicht“, kann ermessen, was jetzt sofort auf all die Glücklosen, die Minderheiten, die Ausgestoßenen zukommt, die nicht zu den Gewinnern der Gesellschaft gehören. „Es ist, als wäre Daddy zurück – und jetzt nimmt er den Gürtel ab.“ Aber, fährt Kennedy fort, auch viele von denen, die bisher Glück hatten, werden bald zu den Glücklosen gehören.

Diese von Kennedy beschriebene Art von Angst bewusst zu erzeugen, entspricht dem militärischen Shock-and-Awe. Es lässt sich prima mit einem Merkmal dieser Gewalttäter kombinieren: ihrer Unberechenbarkeit. Wenn sich der Schlüssel im Schloss dreht, weiß niemand, mit welcher Absicht oder Laune Narziss und Sadist nach Hause kommen, und wer als Nächste oder Nächster dran ist. Gute Laune, schlechte Laune, davon hängt vieles ab. Damit arbeiten die neuen Oligarchen seit dem 6. Januar 2025. Die Sadisten spielen die Gestörten, sorgen für Angst, Panik, Hysterie, erzeugen aufgebrachte Geschäftigkeit, provozieren die Suche nach Gegenstrategien oder die Hoffnung auf Milde durch vorauseilende Unterwerfungen. Dann lehnen sie sich zurück und grinsen.

Alternative Realisten

Einen anderen Weg, mit bösen Männern umzugehen, beschreibt der Psychologe Arno Gruen in einem Buch mit dem hellsichtigen Titel „Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit“. Als Kind, so beginnt seine These, ist man von den Eltern vollkommen abhängig. Was bleibt einem also übrig, als einen bösen Vater zu einem guten Vater zu erklären. Alles andere wäre für das Kind unverständlich. Die Strafen, die Gewalt, der Missbrauch werden durch diesen Twist von den missbrauchten Kindern zu etwas umgedeutet, das eigentlich nur zu ihrem Besten sein kann. Wollen sie überleben, haben sie keine andere Wahl, als ihr eigenes Selbst zu verraten und sich obendrein auch noch die Schuld an dem gewalttätigen Verhalten ihrer Eltern zuzuschreiben. Stimmt es nicht, dass die Europäer viel zu wenig in Krieg investiert haben und dass sie viel zu wenig von Big-Daddy kaufen? Hat der große Beschützer nicht allen Grund, böse zu sein? Ist es nicht eine Frechheit, die Wirtschaft auf erneuerbare Energien umzustellen, statt Gas von Väterchen Frost zu kaufen? Da muss man sich nicht wundern, wenn es Prügel setzt. Das muss man realistisch sehen, solche Reaktionen sind doch normal.

Zurück zu Arno Gruen: Er schreibt, dass es nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass diese Väter und Mütter gestörte Kinder hervorbringen. Denn die Opfer haben nicht viele Möglichkeiten. Entweder sie verdrängen, verschweigen oder deuten ihren Verrat am eigenen Selbst um. Und wie ginge das besser, als genau so zu werden, wie die bösen Väter und Mütter. Oder sie rebellieren. Dafür müsse man sich, so Gruen, das toxische Verhältnis erst einmal klar machen, die Verletzungen und Schmerzen wahrnehmen und nicht als Normalität akzeptieren. Und man muss in so einem Fall den eigenen Vater oder die eigene Mutter als das sehen, was sie sind: Gewalttäter, Manipulatoren, Sadisten. Gar nicht so einfach. Darum sind für die Söhne und Töchter, die ihren Missbrauch zur Normalität erklären und sich selbst nicht als Opfer, sondern als Realisten betrachten, rebellische Menschen schwer erträglich. Denn die spiegeln den „Realisten“, wie sie sein könnten. Die Liste der „Normalitäten“, an die man sich anpassen kann, ist lang: vom Krieg als Vater aller Dinge über ökonomische Imperative bis zur Abweisung von Schutzbedürftigen an den Grenzen. Menschen, die ganz offensichtlich zu ihrem bunten, lustvollen, freien Selbst stehen, sind für „Realisten“ nur schwer zu ertragen. Sie werden sie, wo immer es geht, diskreditieren und versuchen zu unterwerfen. Gelingt das nicht, gibt es noch die Möglichkeit, sie zu vernichten.

Das Glück ein übler Spaß

Wie bin ich auf diesen finsteren Gedanken gekommen? Ein Essay und ein Buch auf einem Tisch. Was folgt daraus? Neue Fragen: Waren die Tech-Giganten, die sich Trump seit seinem Wahlsieg andienen, schon immer Opportunisten? Ist Opportunismus eine Voraussetzung dafür, Millionär oder Milliardär zu werden? Was bedeutet das rückblickend für die Digitalisierung und die sozialen Medien? Was für eine Rolle spielen vor diesem Hintergrund die diversen Verschwörungstheorien und epidemisch auftretenden Populisten? Anders gefragt: Was bedeuten das Bild von A. L. Kennedy und die Theorie von Arno Gruen, wenn man sie auf die letzten Jahrzehnte anwendet? Ging es da nicht in erster Linie um das Versprechen von immer mehr Wohlstand: mehr Autos, mehr Urlaub, mehr Erlebnis- und Spaßgesellschaft, mehr Computer, mehr Smartphones? Und um die gebetsmühlenartige Behauptung, dass einzig und allein mehr Konsum mehr Glück erzeugen kann? Ein übler Spaß, der nur aufgrund von Ausbeutung und Umweltzerstörung zu haben ist. Und eines propagierten Realismus, der auf Sadismus und Leugnung der Realität beruht.

Wie konnte das alles so dermaßen schief laufen? Niemand hat mitgemacht, keiner trägt die Verantwortung. All das ist irgendwie von selbst geschehen. Unsere unlängst ausgerufene Zeitenwende ins Autoritäre ist für die einen eine Überraschung, für die anderen einfach das, was in den letzten Jahrzehnten sowieso schon als kranke Normalität galt, nur mit scharfer Soße. Jetzt, da die Ausbeuter auch hier an die Türen klopfen, ist das Erstaunen in der Mitte der Gesellschaft groß. Hat man nicht fleißig alles richtig gemacht? Wie kann sich plötzlich dieser schöne Wohlstand in Rauch auflösen? Doch viele alternative Realisten sind schon zwei Schritte weiter. Statt diese Situation als Möglichkeit der Befreiung zu erkennen oder als Einübung in eine radikale Freundlichkeit, hoffen sie, dass sie durch eine noch tiefere Unterwerfung unter die Gewalttäter und Vergewaltiger ihren Platz auf der Sonnenseite der Unterdrückung behalten.

A.L. Kennedy (2025): Was tun gegen Junkie-Sadisten? Süddeutsche Zeitung, 11.2.2025, S. 9
Arno Gruen (1987): Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit. München

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