Denis Johnsons „Engel“ – ein Höllentrip
Im Jahr 2000 ist der Roman des US-Amerikaner Denis Johnson „schon tot“ in deutscher Übersetzung erschienen. Die Kritiker waren damals einer Meinung, nannten das dickleibige Buch ein Meisterwerk und ordneten Johnson irgendwo zwischen DeLillo und Pynchon ein. Ermuntert durch den Erfolg hat der Alexander Fest Verlag zwei Jahre später „Engel“, Johnsons ersten 1983 erschienenen Roman, übersetzen lassen.
Die Geschichte ist wesentlich einfacher und einleuchtender als die von Johnson großen Romanen: Eine Frau verlässt ihren Mann und setzt sich mit ihren beiden Töchtern in einen Greyhoundbus, um bei einer Verwandten unterzukommen. Sie raucht Cool. Im Bus lernt sie einen Mann kennen, betrinkt sich mit ihm und ändert ihren Plan. Jamie und Bill ziehen mit den Kindern im Schlepptau von Motel zu Motel und von Kneipe zu Kneipe. Bis sie pleite sind und Bill ganz nebenbei einen Laden überfällt. Schließlich landen sie bei seiner Familie in Phoenix. Und Phoenix ist jetzt das Programm. Man spürt, dass am Ende der Geschichte ein Haufen Asche herumliegen wird. Denn in Phoenix wartet das Verhängnis: Ein durchgedrehter Typ überredet die eher kleinkrimminellen Houston-Brüder zu einem Banküberfall. Für Jamie sind mittlerweile Alkohol und bunte Pillen zum Grundnahrungsmittel geworden. Als der Überfall schiefgeht und Bill in der Todeszelle landet, kommt sie erst in der Psychatrie wieder zu sich. Jetzt sind beide ganz unten angekommen. Aber die Geschichte ist noch lange nicht zuende erzählt. Denn Johnson begleitet Jamie durch die „Therapie“ und den gescheiterten Bankräuber bis in die Gaskammer.
Man möchte mehr wissen, als man erfährt
Schon nach den ersten Sätzen merkt man, dass der Autor hier eine ziemlich heftige Story erzählen wird. Anfangs scheint er seine Figuren nicht richtig zu fassen zu kriegen. Es wirkt, als ob er an ihren Oberflächen abrutscht. Aber nach drei oder vier Kapiteln wird klar, dass Johnson seine Figuren allein über ihre Aktionen und Wahrnehmungen entwickelt. Ihre Psychologie bleibt dem Leser weitgehend verschlossen. Und genau das macht den ständig zunehmenden Reiz des Buches aus. Man möchte immer mehr wissen, als man erfährt. Statt in seine Figuren einzudringen, stattet Johnson ihre Wahrnehmungen mit Bildern aus, die weiterreichen als jede psychologische Analyse. Es gibt kein Gut oder Böse, richtig oder falsch. Die Dinge passieren und sind nicht rückgängig zu machen. Doch die Menschen können sich ändern. Vor der Hinrichtung sagt der Wärter in das betretene Schweigen der wartenden Zeugen, er halte Bill Housten für geheilt und eine Begnadigung damit für angebracht. Dann werden wir mit dem Delinquenten auf einem Stuhl in der Gaskammer festgeschnallt und hören, während er die Luft anhält, nur noch seinen Herzschlag.
Denis Johnson (1983): Engel. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Alexander Fest Verlag