Die Sache mit den Wahlen, den Boomern, der Rente und dem Klima /
In den letzten Jahren taucht immer wieder folgendes Argument auf: Die Alten bestimmen durch ihre Entscheidungen bei Wahlen über die Zukunft der Jungen. Klingt gut, ist aber nicht richtig. Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Frau A, Jahrgang 1959, durfte Ende der Siebziger Jahre das erste Mal wählen. Dann ergibt sich auf Bundesebene folgendes Bild. 1980 gewannen die SPD und FDP die Wahl, zwei Jahre später wechselte die FDP zur CDU/CSU und von 1982 bis 1998 regierte Helmut Kohl. Von 1998 bis 2005 folgte eine rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder. Von 2005 bis 2021 regierte Angela Merkel mal mit der SPD, mal mit der FDP. Dann folgten drei Jahre Olaf Scholz bzw. die Ampel.
Kohl und Merkel bringen es zusammen auf 32 Jahre, Schmidt, Schröder und Scholz auf 10 Jahre plus 8 Jahre Juniorpartner in Grokos. Die Grünen kommen auf 10 Jahre Regierungsbeteiligung. Hätte Frau A immer die CDU/CSU gewählt käme sie auf 32 Kanzler:innen-Jahre. Als SPD-Wählerin auf 10, plus 8 Jahre Koalitions-Jahre, bei den Grünen auf Null Kanzler-Jahre und 10 Koalitions-Jahre. Hat Frau A bei den Bundestagswahlen anfangs den Grünen und später den Linken ihre Stimme gegeben, landet sie bei zwei mal Null: keine Kanzler:in, keine Koalition. Das ist wenig und wäre bezogen auf die demokratische Willensbild frustrierend. Allerdings kann sie sich zugute halten, dass sie die gegenwärtigen Probleme, für die die CDU/CSU aufgrund ihrer Regierungszeit 71,04 Prozent der Verantwortung trägt, nicht „gewählt“ hat.
Es geht also nicht um Jung und Alt, sondern darum, wer wen wählt.
Zur Rente. Frau A hat eine oder zwei Ausbildungen gemacht und fleißig gearbeitet. Anfangs in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Ab und zu wurde sie aufgrund von Wirtschaftskrisen oder einem Strukturwandel arbeitslos und hat dann das Angebot zur Existenzgründung genutzt, um sich als sogenannte Ich-AG solo-selbständig zu machen. Anfangs lief das ganz gut, aber die permanenten Krisen (11. September, Dot.Com-Blase, Finanzkrise, Mietenkrise, Corona, Ukraine und Inflation) nagten über 20 Jahre an ihrem Reallohn, so dass für sie mit der Zeit das Verhältnis von Arbeit Lohn und Preisen in Richtung Existenzminimum tendierte. Ihre Rente liegt deshalb, sagen wir mal, bei 700 Euro. Nicht einmal von der Mütterrente wird sie profitieren. Dabei war Frau A risikofreudig und weitsichtig. Als die Solarindustrie in Deutschland entwickelt wurde, legte sie einen Teil ihrer Ersparnisse in Sonnenaktien an. Hätte sie es in Papiere von Mercedes oder BMW investiert, hätte sich ihr Einsatz (ohne Dividenden) vervierfacht. Doch so löste sich ein Teil ihrer Altersversorgung in Nichts auf. Manchmal stellt sich Frau A die rhetorische Frage, wie das alles sein kann. Obwohl ihr vieles stinkt, tendiert sie nicht zu einer populistischen Partei, die die Demokratie abschaffen möchte.
So eine Arbeitsbiografie hat auch positive Aspekte, und zwar für diejenigen, die jetzt jung sind. Denn Menschen mit wenig Geld und wenig Rente belasten sowohl die Sozialkassen als auch die Umwelt weniger, als Menschen mit viel Geld und einer hohen Rente oder Pension.

