Zwei Arten Hass – Goethe, die Weltzerstörer und der Konjunktiv /
Als Mephisto, ein Weltzerstörer alter Schule, in Goethes Faust auftritt, stellt er sich mit diesen Versen vor: Er sei „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Ein ziemlich cooler Move. Übertragen auf unsere heutigen diabolischen Herrscher und Horrorclowns mit kettensägenschwingenden Hilfsteufelchen ergäbe sich daraus zwangsläufig eine Top-Zukunft. Schnell sein, Dinge, Umwelt, Menschen zerstören: Alles wird gut!
Doch unsere weltlichen Höllenfürsten machen sich da nicht ganz ehrlich. Als hartgesottene Marketing-Profis posten sie ein Image, das ihre antichristlichen Absichten verschleiert. Denn streng genommen ist nach Mephisto „alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt“, ihr Element. Sie aber quasseln pausenlos davon, dass die Anderen böse sind. Sie behaupten sogar, von Gott auserwählt, also die Guten zu sein. Ein klassischer Fall von Doppelmoral oder, etwas feiner formuliert, von Doppeldenken wie es Georg Orwell in seinem Roman „1984“ beschreibt.
All diese bizarren Showmaster scheinen so überraschend in unser Leben geploppt zu sein, wie Mephisto in die Studierstube von Faust. Tatsächlich aber sind sie Teil einer alten Agenda, die in der sogenannten Chicagoer Schule Mitte der 50er Jahre entwickelt wurde. Wie ihr Programm-Code aussieht, kann man in Naomi Kleins Buch „Die Schock-Strategie“ (2007) lernen.
Über zwei Generationen lief es für die Chicago Boys und Girls richtig gut. Der ganze Westen hat aufgrund ihrer Versprechen fleißig an der Abschaffung seiner Demokratien mitgearbeitet. Doch nicht nur das Wachstum hat seine Grenzen. Die großen Versprechen von Wohlstand und Freiheit durch Globalisierung und Digitalisierung haben sich in Rauch aufgelöst. Entstanden sind flächendeckende Abhängigkeiten, neue Regeln, Monopole, Gängelungen und effektivere Methoden der Ausbeutung, die bis in die kleinsten Ritzen des Alltag dringen. Kein Wunder also, dass die ehemals beste aller Welten inklusive Ende der Geschichte mittlerweile zu einer Verschwörungstheorie heruntergekommen ist. Aufgrund massiver wirtschaftlicher und emotionaler Kollateralschäden ist die Stimmung gekippt. Diejenigen, die fleißig bei denen, die einfach nur immer mehr Geld und Macht wollen, mitgemacht haben, sind enttäuscht von ihrer Rendite und diejenigen, die weder mitmachen konnten oder wollten haben sowieso die Nase voll. Das alles wird gekrönt von einer allgemeinen Unfähigkeit mit Krisen umzugehen und von um sich greifenden Depressionen.
Jetzt kommt der erste Twist: Mephisto 2.0 ist immer schon einen Schritt weiter. Seit Jahrzehnten erklärt er diejenigen, die am stärksten unter der neoliberalen Agenda leiden, zur Ursache aller Probleme und diejenigen, die andere politische Lösungen vorschlagen zu Feinden. Böcke wie unser neuer Lehrer Lämpel und der blau-weiße Fleischfresser hüpfen als Gärtner verkleidet vor jede Kamera und werden gewählt, obwohl viele ihrer Wählerinnen und Wähler ahnen, dass sie keine vernünftige Lösung zu bieten haben. In einer Zeit, in der eigentlich alles denkbar ist und somit möglich wäre, reden sie bevorzugt von dem, was nicht sein soll. Und ihre Follower machen mit beim Verrat am Möglichen, obwohl sie wissen, dass die realen Folgen all dieses Retrokrams hier schon bald wie Schwärme apokalyptischer Bumerange einschlagen werden.
Die menschliche Destruktivität geht seltsame Wege, vor allem wenn Verdrängung im Spiel ist. Und verdrängt wird wohl einiges. Zum Beispiel, dass man den ganzen Quatsch vom unendlichen Wohlstand tatsächlich geglaubt hat. Die Party ist vorbei, jedenfalls für die meisten. Jetzt werden die Rechnungen präsentiert. Und das ist der zweite Wendepunkt dieser Geschichte: Also warum nicht gleich diejenigen wählen, die mit der diabolischen Methode richtig ernst machen und einfach alles kaputt schlagen. Dummerweise ist man das in diesem Fall selbst. Wenn das Selbst vor die Hunde gegangen ist, bleibt vom Selbsthass nur noch der Hass übrig. Und wenn der keine Lösung mehr verspricht, die totale Zerstörung. Das könnte ungemütlich werden. Wir Deutsche haben in dieser Beziehung einschlägige Erfahrungen.
Ich möchte nicht so pessimistisch enden. Vielleicht sollte man ausnahmsweise mal auf die hören, die sagen, dass sie nichts versprechen können, aber ihr Bestes versuchen werden, etwas von dem, was möglich ist, umzusetzen. Gut, dazu müsste erst mal jemand den Mut aufbringen. Und gleichzeitig müssten sich ziemlich viele Menschen eingestehen, dass sie sich geirrt haben, in einem seltsamen Wunschdenken gefangen waren und jahrelang Mist gebaut haben. Also: Statt weiter auf Imperative zu setzen, wäre es ratsam in den Konjunktiv zu wechseln.

