Poetikon

True und Cosy Crime: Verbrechen und falsche Versprechen /

Wer sich mit Meditation beschäftigt, weiß wie befreiend diese mentale Gefühls- und Reflexionstechnik sein kann. Ängste, Stress, Traurigkeiten schauen dich an und lösen sich auf. 

Eine wichtige Denkfigur der Meditation ist das Erforschen und Loslassen negativer Glaubenssätze und Lebensskripte. Die sind meist in dramatischen Geschichten gespeichert und geistern wie Endlosserien durch unsere Köpfe. Gefühle, Bilder und Gedanken kreisen hartnäckig um die immer gleichen Probleme. Willst du dich aus diesen Denk- und Gefühlsstrudeln befreien, musst du aus ihnen heraustreten und sie ruhig „anschauen“. So verpufft ihre bedrohliche Wirkung. Im besten Fall findest du sogar heraus, warum sie sich immer wieder in deinen Kopf schleichen.

Was das mit dem Krimi zu tun hat? Er ist das Gegenteil von Meditation. Beim Krimi handelt es sich um eine Verfestigung von negativen Geschichten um Täter und Opfer, Schuld und Verfehlung, Wut, Hass, Gier und Verzweiflung. Auch die Ermittler:innen sind darin gefangen. So richtig schön wirksame Gute-Nacht-Geschichten vom Getrenntsein, Versagen, Verlieren und von Hilflosigkeit. Gefühle und Gedanken, die man garantiert nicht braucht und damit genau das, was Menschen, die meditieren, mit einer tausend Jahre alten Methode und Weisheit loswerden wollen.

Eins ist klar: So ein handelsüblicher Krimi oder düsteres True-Crime-Format schreibt einem mit emotionsgeladenen Bildern und moralischen Andeutungen ziemlich viel negative Sätze ins Hirn und ins Herz. Ganz nebenbei, auch die neueste Cosy-Crime-Welle „zum Genießen und Entspannen“ bewirkt das Gegenteil von dem, was sie verspricht.

Warum tut man sich so etwas überhaupt an? Eine Antwort auf diese Frage könnte man zum Beispiel beim Meditieren finden. Für eine andere Frage habe ich eine literaturwissenschaftliche Erklärung parat: Was müsste eine Geschichte bieten, damit sie befreiend wirkt? Sie müsste es den Leser:innen ermöglichen, die eigenen unbewussten Probleme und Ängste so anzuschauen, dass sie sich auflösen und Hinweise auf ihre Ursachen geben. Das klingt nach einer Mischung von klassischer Katharsis und Brechts epischem Theater. Funktioniert aber anders. Etwa so wie in dem Roman „Daheim“ von Judith Hermann.

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